Bei officeworx beschäftigen wir uns naturgemäß sehr intensiv mit Worten. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Begriff Anatidaephobie, der regelmäßig in Internetforen und Blogs immer wieder auftaucht, unser Interesse erweckt hat und wir uns an einer Begriffsannäherung versuchen möchten, zumal es hier häufig zu folgenreichen Verwechslungen und Missinterpretationen kommt:
Die Anatidaephobie beschreibt die Angst, von einer Ente beobachtet zu werden. Sie ist speziell jenen Menschen nur allzu gut bekannt und sitzt tief in deren Nervenkostüm fest, welche schon seit ihrer Kindheit immer schon bewusst oder unbewusst einen großen Bogen um Teiche, Tümpel und auch Pfützen gemacht haben. Die Anatidaephobie gilt bis heute als nicht behandelbar und ist daher eine besonders leidvolle Qual für Personen, die am Land oder in der Nähe von Bauernhöfen und in Stadtparks wohnen müssen. Das eigentliche Wesen dieser Angst wird dabei häufig versehentlich verwechselt mit der Angst vor Enten per se. Dies ist ein Irrtum. Denn die Ente an sich ist weitgehend ungefährlich. Weder besitzt sie Reißzähne, noch scharfe Klauen, mit denen sie Menschen ernsthaft verletzen könnte. Zudem ist auch das Wesen der Ente eines, das nicht darauf abzielt, sich an Lebewesen, die größer sind als sie selbst, gewaltsam zu vergreifen. Es besteht somit keinerlei tatsächliches Risiko für Leib und Seele. Und das wissen auch die Betroffenen, die an Anatidaephobie leiden.
In Langzeitstudien wurde so beispielsweise erforscht, dass Betroffene der Anatidaephobie keinerlei Problem damit haben, sich in der Nähe einer oder mehrerer Enten aufzuhalten, sofern sie sich sicher sein konnten, dass diese ihnen den Rücken bzw. vielmehr den Bürzel zudrehten und keinesfalls ihren Blick auf das vermeintliche Angstopfer werfen würden. Würde dies allerdings geschehen und die Anatidaephobie-Patienten davon Kenntnis erlangen, konnte sich die Situation dramatisch ändern. Schweißausbrüche, Schockstarre und Klammerhaltung oder einfache Fluchtreflexe, wobei sich die Patienten jeweils im Rückwärtsschritt, also mit wachenden Blick auf den Aggressor, rasch von diesem entfernten, sind die typischen Reaktionen.
Anatidaephobie rührt somit keinesfalls von der Angst vor Enten an sich her. Vielmehr ist es das sich bis zur Unerträglichkeit zuspitzende Gefühl, von einer Ente beobachtet zu werden. Schon alleine der Gedanke daran, dass in diesem Moment ein Enterich sein prüfendes Auge auf einen wirft, kann bei Betroffenen großes Unbehagen hervorrufen. Ein Zustand, den man nicht einmal seinem ärgsten Feinde wünscht. Besonders schwer haben es Menschen, die unwillentlich immer wieder das Revier von Entenpopulationen durchqueren müssen – sei es auf dem Weg zur Arbeit, in der Freizeit oder gar direkt bei der Arbeit (was vor allem Entenzüchter hart trifft). Die Umgebung eines paradiesischen Teichs in der Morgendämmerung, an dem gerade der Morgendunst aufsteigt und Schilf sanft im Winde wankt, kann den betroffenen Personen einen kalten Schauer über den Rücken jagen. Schnellen Schrittes versuchen sie, ihren Weg möglichst rasch daran vorbei zu finden. Nur ein kurzer Blick aus dem Augenwinkel sucht vorsichtig nach dem gefürchteten Aggressor, der unerwartet überall auftauchen kann.
Der meist dunkler als der Rest des Vogelkörpers gefärbte Kopf verleiht der Ente eine perfekte Tarnung. Vor allem die genaue Position der Entenaugen in diesem meisterhaft abgestimmten Federkleid und worauf dessen Blick sich gerade richtet, lässt sich dabei nur schwer verorten, was die Nervosität der Opfer zusätzlich steigert. Meist verfolgt das Tier den in dieser Situation hilflosen Betroffenen mit starrem Blick – das Auge klar fokussiert auf das Subjekt, ohne jedoch den Kopf auch nur ein Haar zu bewegen. Wer nur von einer Ente beobachtet wird, kann dabei noch von Glück sprechen. Die Rudelbildung von Enten dient nicht etwa dem besseren Schutz der Gruppe oder sozialen Interaktionen in der Entenfamilie, sondern alleinig dem Zweck, besser beobachten zu können. Zu Wasser, an Land und auch in der Luft, perfekt positioniert an den Blickachsen zu Gehwegen, Lichtungen und Parkbänken, kann die Entengruppe im Kollektiv ein nahezu dreidimensionales Bild der Zielperson erfassen. Keine Bewegung, kein Schweißtropfen, nicht einmal das Pochen der Pulsschlagadern der Opfer scheint den gefiederten Observatoren nun noch zu entgehen.
Was sich in diesen bangen Sekunden in Anatidaephobikern abspielt, ist kaum noch in Worte zu fassen. Der Schockmoment steigert sich zudem, wenn die Situation erst spät bemerkt wird, nachdem die Observation bereits einige Zeit im Gange ist. Die Opfer fühlen sich überrumpelt, isoliert und wehrlos. Nicht selten folgt dem schnell eine verwirrte Orientierungslosigkeit, was die Situation eher verschlechtert, als verbessert. Gedanken rasen durch den Kopf und verstärken mit jeder Sekunde, die die Person dieser unerträglichen Situation länger ausgesetzt ist, die Verunsicherung. Allerorts werden nun die Entenköpfe aus der Entfernung entdeckt, deren Blick starr auf das Opfer gerichtet ist, welches sich in diesem Moment schlichtweg nackt fühlen muss. Kein Quadratzentimeter des Körpers, der in diesen peinigenden Momenten nicht einem dieser glasig-schwarzen Augen ausgesetzt ist, ganz so wie die allsehende Linse einer verspiegelten Überwachungskamera im Kaufhaus.
Die Gedanken rasen. Fragen tun sich auf und verwirren den Geist des Opfers. Was wollen sie hier? Was führen sie im Schilde? Was wird ihr nächster Schritt sein und wie lautet ihre Agenda? Spätestens hier wird klar, der Kern der Anatidaephobie begründet sich keinesfalls auf eine tatsächliche offensichtliche Gefahr, sondern auf etwas viel Schlimmeren, das die menschliche Psyche schon seit Jahrmillionen heimzusuchen weiß wie kaum eine andere Bedrohung. Es ist die Unwissenheit über das Unbekannte. Eine gespenstische Stille begleitet dieses Schauspiel. Die Enten, die immer noch keinen Millimeter von ihren Positionen abgewichen sind und starr ihr Ziel im Fokus ihres Auges behalten, üben einen paralysierenden, alles durchdringenden Blick auf ihr Opfer aus. Es macht den Anschein, sie sammelten Informationen um Informationen und saugen diese mit jedem neuen Bild, das ihre von der Evolution für eben diese Aufgabe über Milliardenjahre perfektionierten Augen wahrnehmen, um sie anschließend zu verarbeiten. Sammeln und beobachten. Sammeln und beobachten. Es ist ein Spiel, das ihr Opfer nicht gewinnen kann. Es fühlt sich in dieser Phase unwissend, klein und ohnmächtig, ob der Übermacht und des Wissensvorteils der Enten. Denn noch immer hat das Opfer keinerlei Antwort auf die Frage, welchem Zweck diese Folter diene. Es bleibt ein riesiges Warum, das die Betroffenen häufig noch jahrelang beschäftigt. Kaum schaffen es Anatidaephobiker, einer solchen Situation ohne größere Schäden zu entkommen. Glück im Unglück haben, die, die sich in der Gegenwart anderer Menschen befinden, die als Zielorientierung dienen können und auf diese zugehen, um dem Ort des Verbrechens zu entgehen. Hingegen kann ein Blick direkt in das Auge einer beobachtenden Ente sich als markerschüttendes Bild in die Erinnerung brennen, das einen regelmäßig schweißgebadet aus dem Schlaf reißt. Die Agenda, die Ziele und wozu die Informationssammlung dient; bis heute kann es niemand genau sagen.