Praterstraße Wien, 06:50 Uhr in der Früh. Der Tag ist noch grau und die Straßen leer. Ein kalter Morgen im Januar. Einer der wenigen Tage in diesem Winter, an denen es heftig schneit. Nicht unbedingt das Wetter, das man sich wünscht auf der Suche nach einem Café, um den nur dürftig sättigenden Kaffee, den ich daheim noch hastig getrunken hatte, um Bissfestes zu ergänzen und die ersten Texte des Tages zu Papier bzw. Festplatte zu bringen. Doch das Glück scheint mir heute nicht hold zu sein. Was ist aus der Wiener Kaffeehauskultur geworden, frage ich mich, als ich schon an der dritten verschlossenen Kaffeehaustüre vorbeigehe, an der mir die Öffnungzeiten-Tafel ankündigt, dass man mir frühestens in zwei Stunden Einlass gewähren würde.
Der zweite Bezirk scheint nicht unbedingt für frühaufstehende Schreiber geschaffen zu sein. Zumindest nicht dieses Grätzl. Es verschlägt mich also über den Donaukanal in die Innere Stadt. Auf den Straßen ist es inzwischen lebendiger geworden. Das Schneetreiben hält da in seiner Intensität locker mit. Umso eiliger habe ich es, einen Platz zum Aufwärmen zu finden. An einer Ecke mache ich ein Schild aus, das nach Café anmutet. Ich steuere es an und tatsächlich lese ich Café Ministerium. Es befindet sich in einer Seitengasse am Stubenring. Diesmal habe ich Glück. Durch die großen straßenseitigen Fenster erkenne ich drinnen bereits einige wenige Gäste; Zeitung lesend und Kaffee trinkend. Ich ziehe mein Smartphone aus der Tasche und google noch schnell, ob Frühstück angeboten wird. Es wird. Hier also werde ich mich die nächsten Stunden einrichten, bis der Termin meiner Freundin abgeschlossen ist und ich sie wieder am vereinbarten Treffpunkt abhole.
Ich betrete das Lokal und merke sofort; hier ist die Kaffeehauskultur zuhause, die ich gerade noch gesucht habe. In einer Ecke mache ich es mir auf einem der roten Polstermöbel am Fenster mit Blick auf das gegenüberliegende Ringstraßengebäude gemütlich. Ich bestelle Frühstück und bin von der Käseplatte überrascht, zu der es frisch geriebenen Parmesan gibt. Ich frage mich, nach welchem Ministerium das Café wohl benannt ist. Den Gesprächen meiner Tischnachbarn nach zu urteilen, Finanzministerium. Ein Mann neben mir nutzt die frühen Stunden des Tages, um Anrufe mit Kollegen und Freunden zu erledigen. Er vergisst dabei nicht, jeweils zu erwähnen, dass er sich gerade im Ministerium befindet. Ich denke daran, welche Vorstellung sich seine Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung wohl vom „Ministerium“ machen und frage mich, ob sie ahnen, dass dort Melange und Kapuziner serviert werden. Fast bin ich neidisch, dass es in der Nähe unseres Büros kein Café mit einem ähnlich geschickt gestalteten Namen gibt. So könnte man ruhigen Gewissens bei einer Tasse Cappuccino sitzen und am Telefon sein Gegenüber darauf hinweisen, dass man sich gerade in der „Behörde“ befindet, am „Amt“, im „Gericht“ oder auch im „Werk“. Sicherlich würden sie verstehen, dass das Gespräch kurz gehalten werden muss, wenn man erwähnt, dass man gerade am Weg in den „Aufsichtsrat“, ins „Direktorbüro“ oder gar in den „OP“ wäre.
Das „Ministerium“ ist allerdings wohl kaum zu übertreffen, wenn es darum geht, Obrigkeitsdenken hervorzurufen. Da fällt mir ein, dass es in der Nähe unseres Büros doch einen Ort gibt, der diesem Zweck dienen könnte. Ich erinnere mich, schon oft die Eisenstädter Straße entlang gefahren zu sein und dort „Willy´s Parlament“ gelesen zu haben. Das „Willy´s“ müsste man bei Telefonaten oder auch Tweets selbstverständlich tunlichst unter den Tisch fallen lassen. Auch sollte man bei Facebook-Postings die Standortfunktion am Smartphone ausschalten, um nicht versehentlich die tatsächliche Ortsangabe mitzuteilen. Vielleicht sollte ich dort tatsächlich einmal vorbeischauen. Leute, die im Parlament ein- und ausgehen, müssen immerhin eine wichtige Agenda haben. Das sind Leute, die mit denen an der Macht auf Du und Du sind.
Wer weiß, vielleicht fänden sich noch einige andere Unternehmer oder Unternehmerinnen aus der Umgebung. Dann könnten wir regelrechte Parlamentssitzungen abhalten. Am Stammtisch beim Willy könnten wir ein eigenes Kabinett einrichten und von dort aus unsere Briefpost versenden, mit eigenem Briefstempel versteht sich, parlamentarische Korrespondenz eben. Das wäre doch ein netter Start in die Woche, denke ich bei mir.
Der Vormittag ist inzwischen vorangeschritten. Ich trinke meine Melange aus, packe mein Notebook ein und bitte die freundliche Ministerin alias Kellnerin um die Rechnung. Wer weiß, wer heute noch alles hierher kommt, um unter dem Vorwand, ins Ministerium zu müssen, ein bisschen Ruhe und eine Tasse Kaffee zu genießen.